Kolumbien 21 Jahre später

Hallo Amigitos!

Mitte Februar ziehen wir nach Bolivien weiter, bis dahin bleiben wir in Kolumbien. 2004, bei unserem letzten Besuch war alles anders. Da wir uns quasi schockverliebt haben, mußte ich einfach seit langem mal wieder einen Reisebericht schreiben .

Wer also Lust hat, kann weiter lesen oder ausdrucken ...

Ganz liebe Grüße aus Medellin von Torte und Ikea!

Kolumbien 21 Jahre danach

Um mich herum fängt das Häusermeer gerade zu funkeln an. 18.30 Uhr - es wird dunkel in Medellín. Ich schaukle in einer Hängematte über einem Wirrwarr aus Ziegel- und Wellblechdächern, einem Labyrinth aus Ziegelbauten, steilen Treppenstufen und einigen wenigen noch steileren schmalen Straßen. Torte schlürft gerade sein zweites Bier, nachdem wir ganz mutig unser Erstes an der Straßenkneipe im Barrio getrunken haben. Unser Quartier liegt nicht im Tourismusviertel, sondern in der Comuna 13 San Javier. Ja, genau in DER „Comuna 13“, welche ausgerechnet wegen einer Netflix Serie namens „Narcos“ weltberühmt wurde. Zumindest außerhalb Kolumbiens – aber dazu später. Schon allein, dass wir hier unterwegs sind, wäre vor 21 Jahren undenkbar gewesen und das liegt nicht daran, dass es Airbnb damals nicht gab ;o))

Ich habe gerade nochmal im Reisebericht von 2004 gelesen. Torte hatte damals unseren Reiseführer auf irgendeinem Klo in Venezuela vergessen. Die mühevoll ergatterten Kopien eines Lonely Planet Kolumbien enthielten mehr Warnungen als Reiseempfehlungen. Über Land eingereist aus dem damals sicheren Venezuela (!!!!) wagten wir uns am Ende nur in Richtung Karibik um Cartagena und nach Bogota. Sobald wir in den Straßen unterwegs waren, wurden wir permanent von den Kolumbianern von allem abgehalten, vor allem gewarnt. Was für ein Gegensatz zu heute! Und trotzdem sagt es eine Menge über ein Land aus, wenn ein Reiseführer nach wie vor nicht mal die Hälfte der Fläche unseres Gastlandes beschreibt….

Gelandet sind wir in Bogota. Nach 2h an der Migration anstehen, erreichen wir das „Hostel R10“ in Candelaria, der Altstadt von Bogota. Im Inneren des kolonialen Altbaus gruppieren sich die Zimmer auf 2 Etagen um einen Patio. Sieht nett aus, aber völlig übermüdet nach 14 Stunden Flug, sind wir vom dröhnenden Reggaeton an der Rezeption erstmal überfordert. Wir haben immerhin auch fast 9 Monate lang kein Spanisch gesprochen. Unser Zimmer liegt im zweiten Stock, hat einen Miniaustritt und sogar ein Bad. Da wir ja quasi frisch von der Baustelle vom Aktivhof kommen und nach wie vor die „Bad Frage“ nach dem Umbau nicht gelöst war bis zur Abreise, feiern wir als erstes die Badtür. Sie ist 1,70 hoch und nicht ganz 50 cm breit. Tortes Wanderschuh stößt nicht ganz vorne und hinten an! Und das Bad hat keinen „Deckel“. Kein Problem mit der Abluft also und die scheppernde Mugge von der Rezeption übertönt die Geräusche! Merken wir uns für den Badeinbau im Laby :o)) Auf der Dachterrasse wollen wir noch einen Absacker nehmen. Hämmernder Techno verleitet uns allerdings zum Sturzbier und nicht zum Zappeln.

Geschlafen haben wir trotzdem gut. Ich bin Locke immer noch dankbar, dass er mir damals in Lima das System Ohrstöpsel nahegebracht hat! Das Frühstück auf der sonnigen Dachterrasse ohne Techno ist der Hammer! Wir sind bereit für die Straßen von Bogota. Klar sitzen die Erinnerungen uns noch im Nacken und wir gehen es langsam an, stürzen nicht gleich jede Gasse – zumindest erstmal, schwöre! Wir streunen umher, probieren alles Mögliche an den gummibereiften Verkaufskarren – Arepas, Papas rellenas, Fleischspieße, Heiß- und Kaltgetränke. Einen Tinto, starker gesüßter schwarzer Kaffee in Minibechern, bekommt man in Kolumbien überall. Einfach nach Menschen mit Thermoskannen schauen. Aber am genialsten sind die Obststände – frischgepresste Säfte oder Becher mit mundgerecht geschnittenen tropischen Früchten verdrängen „Schäl es, koch es oder vergiss es!“ sofort. Erstens hatten Mangos und Ananas ja mal ne Schale und zweitens wäre der Saft ohne Eiswürfel viiiiiel zu warm! Mangos kann man in Colombia übrigens das ganze Jahr über ernten.

Sonntag sichern tausende Polizisten ab den frühen Morgenstunden bis nachmittags einige Bergstraßen in und um Bogota. Dann sitzt gefühlt die Hälfte der Einwohner auf einem Fahrrad und quält sich in Funktionsklamotten Serpentinen hoch. An allen anderen Tagen würde man den mörderischen Verkehr und die unsicheren Gegenden kaum unbeschadet überstehen. Die andere Hälfte erklimmt derweil zu Fuß den Hausberg „Cerro de Monserrate“, um der Messe im Kloster beizuwohnen. Die komplette Einwohnerschaft scheint im Sportfestmodus. Wir schwitzen heute mal lieber nicht, denn seit heute Morgen 8.00 Uhr ist in unserem gesamten Viertel das Wasser rationiert. 24h lang kann man zwar die Toilette benutzen, manchmal tröpfelt es auch noch aus dem Wasserhahn, aber für eine Dusche reicht es nicht. Diese Wassersparmaßnahmen führt die Stadtverwaltung seit einiger Zeit reihum in allen Stadtteilen durch. Es gibt nicht mehr genug für alle.

Das Beste ist, wir haben keinen Plan für Colombia. Mitte Februar wollen wir in Bolivien sein und für die Zeit dazwischen gibt’s Ideen. Kolumbien ist das einzige Land in Südamerika, welches an beide Ozeane grenzt. Es gibt jede Menge Berge und Urwald und Wüste und…. viel zu wenig Zeit!

In der Karibik standen der Tayrona Nationalpark und die Ruinenstätte „Cuidad perdida“ auf der Wunschliste. Letztere erreicht man nur zu Fuß in drei oder vier Tagen. Aber man darf nur mit einer Agentur gehen, also Führer, Köche, Träger oder Pferde, viele Gruppen. Wir lesen ein paar Berichte, schauen ein paar Videos an und wissen, das ist nix für uns – „Hillary step“ im Küstenurwald… Aber in den Tayrona NP müssen wir unbedingt, haben alle Kolumbianer gesagt. Sichelförmige Strände. Buchten gesäumt von Kokospalmen, dahinter Urwald und links und rechts Felsen. Somit steht der erste Halt fest, denn der Park schließt Anfang Februar für 14 Tage. 3x im Jahr gönnt man der Natur und den Indigenen eine zweiwöchige Auszeit.

Nächster Stopp wird also Santa Marta an der Karibikküste sein - die älteste Stadt des Landes. Während wir unsere Rucksäcke packen, entdecke ich eine Nachricht von Mutti. Sie fragt, ob es uns gut geht. Horrormeldungen über plötzlich wieder aufgeflammten Guerillaterror haben es bis in die Tagesschau geschafft. Uff, wir haben gar nix mitbekommen! Tatsächlich explodiert gerade die Gewalt im Gebiet um Catatumbo. In den letzten Tagen gab es bei Racheaktionen der Guerillatruppe ELN 90 Tote – hingerichtete Zivilisten, darunter ehemalige FARC-kämpfer, welche ihre Waffen 2016 abgegeben haben. Sie gingen von Haus zu Haus. Ca. 38.000 Menschen wurden vertrieben, sind auf der Flucht – 38.000 in einer Woche!!!! Der Terror ist zurück. Catatumbo liegt im Grenzgebiet zu Venezuela. Unser Taxifahrer ist auch erschüttert, doch er meint: Das so, als ob man in Berlin ist und in Paris passiert was. Dann ist Paris doch sehr, sehr weit weg… Da müssen wir erstmal drüber nachdenken. Die gewaltvolle Geschichte bzw. leider auch Gegenwart Kolumbiens wird uns immer unterschwellig begleiten und sie bleibt unfassbar, angesichts der offenen, herzlichen Menschen.

Für ein paar Tage wollen wir im Park übernachten. In Santa Marta lassen wir den größten Teil des Gepäcks im Hostel. Kocher und Topf müssen natürlich mit. Zeltkram bleibt da – die Zeltplätze sollen Festivalgelände ähneln… in einem Nationalpark???? Klamottentechnisch sind wir überfordert – Regenwald heißt doch lange Klamotten und Gummistiefel! Aber auf den Bildern haben alle zu jeder Zeit fast nix an?!?! Die Hitze haut uns erstmal um! Zum Glück bläst fast ständig ein ordentlicher Wind durch die Altstadtgassen Santa Martas. Ich kann mir noch nicht vorstellen, wo hier ab morgen der Regenwald mit Wildtieren herkommen soll…

Aller 15 Minuten fährt vom chaotischen Markt ein Bus zum Parkeingang und nach 50 Minuten Fahrt auf der Küstenstraße in Richtung Venezuela, spuckt er uns mit vielen anderen an einem der drei Parkeingänge aus. Der Park ist auch der Lieblingsnationalpark der Einheimischen. Es herrscht ein totales Tohuwabohu. An der Kasse steht eine riesige Schlange, die Sonne brennt, Fahrzeuge hupen und die Rucksackriemen schneiden in die Schultern. Wir sind erstmal geschockt. Was soll das hier werden? Ok Tagesgäste müssen den Park 17.00 Uhr verlassen und die Fahrzeuge kommen nur noch 6 km weit, dann geht’s für alle nur noch zu Fuß oder mit dem Pferd weiter auf wenigen fest gelegten Pfaden. Aber das sind so viele Menschen hier!! Während wir eine Stunde in der Warteschlange braten, präsentiert sich immerhin direkt neben uns am Baumstamm eine giftgrüne Schlange. Ok, die war echt und nicht domestiziert. Die Warterei liegt allerdings an der Unorganisiertheit, trotz massenhaft uniformierter Parkangestellter. Jeder Gast muss zusätzlich zum Eintritt noch eine extra Krankenversicherung abschließen. Auch interessant!

Vom Parkeingang könnte man die letzten 6 km Straße auch mit Minibussen mitfahren, bevor es wirklich nur zu Fuß weiter geht. Unsere Unterkunft, das „Hostal Paraiso de Kogui“ liegt nach 2km irgendwo auf dem Berg links von der Straße. Wir entscheiden uns fürs Laufen. Nach hundert Metern sind wir alleine, um uns herum ist wirklich Regenwald. Riesige Bäume überspannen mit ihrem Blätterdach die Straße. Und nach 300 Metern wird’s über uns unruhig in den Baumkronen. Da hocken wirklich Brüllaffen über uns und beobachten die blöden Touris. Wir sind richtig selig.

Links und rechts stehen in Abständen Hinweisschilder zu versteckt liegenden Hütten. Nix davon deutet auf Massentourismus hin. Natürlich ist unser Hostel nur zu Fuß erreichbar. Wir biegen links in einen Fahrweg ein und betreten schließlich einen schmalen Pfad zwischen Bananenstauden und üppigem Grün. Blattschneideameisen haben ordentliche Straßen ausgetreten und wimmeln über den Weg. Die meisten Bäume haben mäandernde Brettwurzeln. Dann stehen wir vor einer Art Hängebrücke aus Baumstämmchen. Dahinter geht es über Treppenstufen im Zickzack weiter den Hang hinauf. Schon die Treppe ist der Hammer. Im jede Stufe - und es sind nicht wenige – hat jemand Figuren eingeritzt. Auf den Stufenkanten sind kleine Tiere modelliert – Faultier, Spinne, Nasenbär… Schwitzend, aber schon mal zufrieden, erreichen wir ein kleines Plateau auf dem Hügelkamm und werden von einem aufgeregten Sebastian empfangen. Er ist einer der drei Brüder, die das Hostel nach dem Vorbild der Kogi aus dem Urwaldboden gestampft haben. Er will uns am besten gleich alles zeigen. Wir haben noch nicht mal die Rucksäcke abgesetzt, da führt er uns gleich zum Stammschlafplatz der Nachtaffen. Einen Schatz und geheime Wege gibt es auch noch… Vorbei an Hängematten mit Hammerausblick bringt er uns zu unserer Hütte. Es ist alles wirklich so, wie beschrieben und auf den Bildern. Es gibt genau drei Hütten für jeweils 2 Personen. Sie kleben auf Stelzen an einem schmalen Bergkamm zwischen einzelnen Felsen im Bergurwald. Um uns herum reihen sich bewaldete Hügel an bewaldete Hügel. Dazwischen kann man unter uns das blaue Meer sehen. Die runden Holzhütten haben nach Art der „Kogi“ ein rundes Spitzdach mit 2 Zipfeln. Die Eingänge, gerahmt von einem Strang der „Escalero del diablo“(Teufelstreppen - Liane) haben nur einen Vorhang. In der Hütte ein Doppelbett und ein paar Regale, rundherum große mit Moskitonetz verkleidete Fenster und ein kleiner Badanbau – das wars. Wir fühlen uns sofort geborgen in unserer Hobbithütte. Vor der Hütte: Ein kleines Plateau mit Tisch und Stuhl, eingerahmt von Blüten und tropischen Pflanzen. Schmetterlingswolken, Kolibris, blaugelbe Aras – wir haben einen Volltreffer gelandet! Um uns rum ist einfach nichts, nicht mal die für Kolumbianer lebensnotwendige Beschallung gibt es hier. Nachmittags ziehts uns natürlich doch noch zur Küste. An der Flussmündung des Nationalparkgrenzflusses stehen wir zum ersten mal am Meer. Mächtig gewaltig donnern die Wellen. Ins Wasser trauen wir uns nur mit den Füßen. An fast allen Stränden des Parkes ist baden unmöglich und verboten wegen Lebensgefahr. Der Fluss lockt umso mehr, aber da soll es Kaimane geben…. Fragen können wir nicht, ist gerade keiner da ;O))

Auf dem Rückweg erspähen wir noch ein Hotschi und eine Horde Kapuzineraffen lässt sich durch unsere Anwesenheit absolut nicht stören. Zum Abend kochen wir uns ein schönes Curry. Schade, dass es 19.00 Uhr schon stockdunkel ist. Der Cuba libre tröstet und im Taschenlampenlicht beobachten wir die nachtaktiven Äffchen.

Am nächsten Morgen zum Sonnenaufgang brüllen uns die Brüllaffen derartig von beiden Seiten die Ohren voll, dass ich freiwillig vor um 8.00 Uhr aus dem Bett steige!!! Ohne schlechte Laune! Was für ein gewaltiges Gedröhne. Dann sitzen wir mit seligem Grinsen bei einem guten kolumbianischen Kaffee und versuchen Kolibris zu fotografieren. … und verlängern spontan auf 4 Nächte. Die nächsten Tage verbringen wir mit Strandwanderungen, Baden (wo es möglich ist) und Leben genießen. Enttäuschend war nur das eigentliche Highlight des Parkes, Cabo San Juan. Den Fußmarsch kann man sich sparen.

Unser nächstes Ziel soll Medellín sein. Nicht nur Frido und Emma hatten von der Stadt geschwärmt. Übrigens das erste Mal, daß Frido uns Tipps für eine Südamerikareise geben kann. Gut so! Auch die bereits erwähnte Netflix-serie ist nicht ganz unschuldig am Interesse. Anschauen sollen wir laut Medellinenses, die wir unterwegs trafen, unbedingt den Botanischen Garten, die Metro nebst Seilbahnen, den Skulpturenpark mit Boteros üppigen Modells … und natürlich die „Comuna 13“. Wieder haben wir ein goldenes Händchen bei der Unterkunftsuche. Mittels Airbnb stoßen wir auf eine kleine Wohnung mit großen Fenstern und einem Balkon nebst Hängematte mit Blick auf Medellín. Beim genaueren Hinschauen liegt sie direkt in einem der 23 Stadtteile der Comuna San Javier – besser bekannt als eben jene „Comuna 13“. Wir sind sofort begeistert und haben es bisher nicht bereut! Gestern waren wir in Poblado, dem „Touristenviertel“, wo alle schlafen. Was für ein Lärm, Schmutz und Chaos. Hier bei uns sind die Häuser zwar abenteuerlich übereinander geschachtelt, aber es gibt keine Hochhäuser und nur wenige Straßen. Schmale Treppen durchziehen den Hang. Man steigt zwischen den Wohnzimmertüren der Leute lang, welche meistens vor der Tür sitzen. Durch die Hanglage haben wir einen Superblick, während uns keiner stalken kann und immer ein kaltes Lüftchen. Überall gibt es kleine Lädchen. 10 Minuten brauch wir bis zur Metro und Seilbahn. Alle sind unheimlich hilfsbereit und freundlich.

Man kann sich nicht vorstellen, dass von hieraus „El Patron“ und die Guerilla das ganze Land terrorisiert haben. Der Staat hatte keinen Zugriff.

Der damals schlimmste und berüchtigtste Teil des Viertels liegt genau am Hang gegenüber. Mit seinen Graffity -Touren ist es heute die Touristenattraktion in Medellín. Wir haben viel diskutiert und nachgelesen, ob überhaupt und wie. Eine Tour zu buchen, schien die beste Entscheidung. Alexandro kommt aus dem Viertel. Geboren 1995, hat er die Blutherrschaft Pablo Escobars nichtmehr miterlebt aber sehr wohl den Guerillaterror und auch die Säuberungsaktion namens „Orion“ 2002. Wir sind nur zu neunt und einige wischen sich gerade bei den Berichten über die Aktion „Orion“ immer wieder verstohlen über die Augen. Wen es interessiert, der findet im Netz alles über die grauenhafte Geschichte des Viertels. Viele waren durch den Terror der Guerilla oder blutrünstigen Paramilitares von ihrem Land vertrieben worden und in Stadt geflüchtet. Aus Müll haben sie sich Hütten in den Hang gebaut. Sie waren weder erwünscht noch hatten sie eine Chance. Wobei, als Junge hatte man genau drei Wahlmöglichkeiten: 1. Arbeit für die Drogenmaffia als Kurier oder Auftragsmörder, 2. Mörder bei den paramilitärischen Banden oder 3. zum Militär. Sie hatten nicht wirklich eine Wahl. Was hier möglich ist, ist für viele der Bewohner etwas, wofür sie jeden Tag dankbar sind.

Als wir schließlich in den Teil des Viertels erreichen, wo die Transformation am krassesten deutlich wird, sind wir schon wieder fast ein bissl überfordert. Um die legendären Rolltreppen und Viadukte herrscht ein derartiges Getümmel aus Künstlern, fliegenden Händlern, Touristenführern, Imbissen, Graffitys usw. Als wir etwas skeptisch nachhaken, ob es keine Konflikte gibt wegen der vielen Besucher? Ob es genug Arbeit gibt für alle die Guides und Händler, lacht Alexandro und beteuert: Alles ist gut, solange man die Privathäuser respektiert und ab 18.00 Uhr gehört das Viertel wieder ihnen. Und alles ist besser als die Perspektivlosigkeit der dunklen Jahre. Kunst, Tanz, Sport, Schulen – das alles war früher im Viertel undenkbar. Dann zeigt er auf eine riesige Halde am benachbarten Hang. Dort sollen die 70 Toten und 300 Vermissten der Operation „Orion“ verscharrt sein. Aus dem bunten Treiben fällt unser Blick also auf ein Massengrab. Ein paar der damals Beteiligten haben inzwischen den Mund aufgemacht, aber die Wahrheitskommission hat noch viel Arbeit…

Das müssen wir erstmal verdauen. Den „transformierten“ Barrio, wollen wir später noch mal auf eigene Faust erkunden. Stück für Stück legen wir die Skepsis und das oft beschriebene „komische Gefühl“ ab und erweitern unseren Radius. Gehen auf eigene Faust in die verschiedenen Comunas. Eins steht jetzt schon fest und da sind wir einer Meinung: In Medellín und Kolumbien sind wir nicht zum letzten Mal gewesen. Für heute sagen wir Adios und Salud!