Januar 2005: Madidipark
Am Elften Tag unsere "Expedition" sind wir wieder in der so genannten Nationalparkhütte in Alto Madidi. Alto Madidi ist aber nur ein imaginärer Punkt auf der Karte, der ein riesiges Stück Land im Quellgebiet des Madidiflusses beschreibt. Nach unseren Schätzungen sind es von hier aus ca. 180 Kilometer zurück in die Zivilisation. Viel ist hier in den letzten Jahren nicht passiert. Im Gegenteil die ehemalige Nationalparkhütte gammelt und schimmelt vor sich hin. Irgendwann wird diese Bruchbude einfach in sich zusammenfallen. Die Parkverwaltung hat sich hier schon lange nicht mehr blicken lassen. Trotzdem bedeutet diese Hütte für uns einen regensicheren Nachtplatz zu haben, nicht jedes Mal klatschnass zu werden, wenn es wieder wie aus Eimern anfängt zu regnen. Sogar zwei Stühle wacklige gibt es, welch ein Luxus!
Als Ilka ihre Sachen ordnet, entdecken wir einen herrlichen Schimmelpilz in ihren Wanderschuhen, von unseren Rucksäcken ganz zu schweigen.
Gemeinsam beschließen wir einen Ruhetag einzulegen, um vor allem unsere Füße zu pflegen. Wie jedes Mal am Madidi sind unsere Beine gequollen und von den Flussmineralien zerfressen. Tausende Sandfliegen, Bienen und Wespen haben ihr übriges getan. Außerdem gibt uns der Ruhetag die Möglichkeit über die vergangenen elf Tage nachzudenken.
Aber langsam relativiert sich einiges, natürlich nicht alles. Viele Tiere und Pflanzen kennen wir schon, wissen, wer in der Nacht welche Geräusche von sich gibt, was harmlos und was gefährlich ist. Nur ein einziges Mal ist uns etwas mulmig geworden. Wieder einmal hatten wir die Gewalt der Urwaldflüsse unterschätzt.
Am 16.01. hatten wir unser Camp am Oberlauf des Madidi aufgeschlagen. Am Abend gab es lecker Fisch. Fünf verschiedene Arten! - alle über 60 cm lang - sind uns in kurzer Zeit an den Hacken gegangen. Sogar einen großen Manta haben wir aus dem trüben Wasser gezogen. Sein Stachel am Körperende sieht wirklich furcht erregend aus.
Mit Einbruch der Dunkelheit rennt ein Tapir fast durch unser Zelt. Hier sagt man diesen Tieren die gleiche Mentalität nach wie dem Esel. Sture Viecher eben. Im Lichtkegel unser Lampen, nur wenige Meter von unserem Camp, leuchten wie fast jeden Abend die Augen der Krokodile.
ENDLICH!!! Wir haben die lang ersehnte heile Welt am Rande des Amazonasbeckens erreicht.
Aber es sollte natürlich ganz anders kommen.
Pünktlich um Mitternacht setzt ein derart starker Regen ein, dass wir uns im Zelt nur brüllend verständigen können. Mit ungeheurer Gewalt drischt der Regen auf unser ohnehin schon stark lädiertes Zelt ein (Tage zuvor hatten Blattschneideameisen meinen Poncho und Teile des Zeltes in einen Schweizer Käse verwandelt - Gazefenster vom Zelt als Lüftungsgitter für den Ameisenbau, mal ein ganz neuer Aspekt von Tierliebe).
Der Regen hört auch nach den zwei obligatorischen Regenzeitstunden nicht auf. 6:00 Uhr morgens wage ich einen Blick auf den Fluss. Drei Höhenmeter unter uns, erkennt man im ersten Tageslicht das braune Wasser des Madidi. "Alles im grünen Bereich", denke ich mir so und krieche wieder zu Ilka ins Zelt.
7:00 Uhr dann plötzlich Chaos!!! Draußen ein Wahnsinns Lärm. Die Luft vibriert. Von einer Sekunde auf die andere wälzt sich eine Brühe aus Schlamm, Geröll und Bäumen nur wenige Meter an unserem Zelt vorbei. Innerhalb von Minuten steigt der Fluss mehrere Meter. Inzwischen ist er nur noch Zentimeter von unserem Zelt entfernt!
In panischer Angst werfen wir unsere Sachen in unsere Rucksäcke, flüchten ein paar Meter in den Urwald hinein. Aber auch hier sind wir nur für Minuten sicher. Das Wasser steigt und steigt. Immer weiter fliehen wir Hals über Kopf in den Dschungel hinein. Es hilft nichts! Stellenweise stehen wir schon hüfttief im in der braunen Urwaldbrühe. Die Strömung zerrt an unseren Beinen. Endlich finden wir einen etwas erhöht liegenden Punkt. Wir können unsere Rucksäcke auf den durchweichten Urwaldboden stellen. Mit Mexicano schlage ich einen Weg weiter in den Urwald hinein, aber nach nur wenigen Metern ist auch hier Schluss. Wir sind vom Wasser eingeschlossen. Zusammengekauert sitzen wir im Regen, rauchen ein paar trocken geblieben Zigaretten und warten auf unserer kleinen Insel im Fluss. Minuten werden zu Stunden, Stunden zu Tagen. Die Zeit scheint stillzustehen. Der Fluss um uns herum reist alles mit sich fort.
Es ist wie immer im Urwald. Es gibt für kurze Zeit immer von allem zuviel, egal ob es der Regen, die Sonne, die Insekten oder irgendetwas anderes ist. Nie gibt es Tage, an denen man von allem etwas bekommen kann.
11:00 Uhr beginnt das Wasser langsam zu sinken. Es regnet noch immer wie aus Eimern. Wir sind verdreckt vom Schlamm und durchgeweicht bis auf die Haut. Alles ist in diesem Moment unwichtig - WIR LEBEN!!!
Notdürftig richten wir uns für die Nacht ein. Lange dauert es, bis wir ein wärmendes Feuer entzünden können. Das laute und lange Krachen, was von umstürzenden Urwaldriesen verursacht wird fährt uns bis ins Mark. In der Ferne ist das Fauchen eines Jaguars zu hören...
Am nächsten Morgen ist der Madidi wieder in sein Flussbett zurückgekehrt.
An der Stelle, wo sich unser erstes Camp am Ufer befand, ist nur noch ein großes Loch. Außerdem stellen wir bei der Überprüfung unserer Lebensmittelvorräte fest, dass die Hälfte fehlt. Einige Beutel konnten wir nicht vor den Wassermassen retten. Falls wir kein Angelglück haben, gibt es ab heute nur noch einen Teller Suppe pro Tag und Person...
Natürlich gibt es noch unendlich viel mehr zu berichten.
Einige Floßkenterungen galt es zu bestehen. Außerdem glauben wir schon lange nicht mehr, dass die Schlangen, wenn sie unsere Schritte, vernehmen sich ins Unterholz verkriechen. Auch diesmal haben sich die Korallenschlangen in unserer Nähe sehr wohl gefühlt. Allerdings haben die uns nicht gebissen. Anders als die Ameise 24, die so heißt weil sie 24 Stunden Fieber und starke Schmerzen verursacht. Gott sei Dank war es nur eine, die Ilka am Arm erwischt hat. Drei Stiche zur gleichen Zeit können lebensgefährlich sein...
Diese 360 Kilometer lange Dschungeltour wurde von einem Journalisten der "Freien Presse" begleitet. Ein Buch zu dieser mehrere Wochen andauernden Odysee ist im Entstehen.