3 Stangen Dynamit und ´ne Fanta bitte…
Hola Muchachos,
hier endlich die verspätete Ankomme -Mail aus Bolivien. Angekommen sind wir am Ende sogar pünktlich, als komplette Reisegruppe und mit allem Gepäck. Obwohl die Amis in Miami dies redlich zu verhindern suchten. Aber mal langsam, denn zuerst gab’s Abschiedseierlikör und ´ne Tüte Golfbälle auf dem Leipziger Bahnhof. Vielen Dank an unser erweitertes, bewährtes Abschiedskommando und das gelungene Gruppen Selfie. Im arschkalten Berlin gab’s dann mit Käte noch Bierchen gegen das Reiselampenfieber – der Eierlikör war leider bis dahin schon alle, Oschi!
Chemnitz, Leipzig, Berlin, Madrid – bis dahin war alles ok. Dann übernahmen die Amis das Zepter. Bevor man in Madrid überhaupt in den Boardingbereich von American Airlines darf, wird man zunächst verhört – jeder für sich – übersetzen nicht erlaubt. Warum Bolivien? Wieso kein gebuchtes Hotel. Was wollen sie dort? Was machen sie in Deutschland? Was haben sie vorher in Deutschland gemacht? Was machen ihre Kinder? …dabei sind die Typen auch noch völlig unlustig. Für Mama wollten sie tatsächlich erst einen deutschsprachigen Übersetzer ranbeamen. Aber sie hat sich dann doch auf Englisch wacker geschlagen. Verlässt man die“ sichere Zone“ nochmal, gewinnt man eine peinliche Leibesvisitation – war interessant.
Miami: Obwohl wir nur 5h Transit haben, müssen- wir wie - immer in die USA einreisen – Sicherheitsvorschrift! Trotz vorher im Internet gekauftem Visa stehen wir sage und schreibe 2 h in - Worten 2 Stunden - in Warteschlangen für die nigel-nagel-neuen Einreiseautomaten. Die funktionieren natürlich bei den wenigsten pannenfrei, so dass es noch länger dauert. Foto, Fingerabdrücke, trallala und wir halten endlich 4 Papierschnipsel in den Händen und hätten uns fast gefreut…. Doch auf drei unserer vier Einreisezettel hat der Automat ein Kreuz gedruckt. Torte hat natürlich Glück. Die mit Kreuz dürfen sich nochmal in endlose Warteschlangen an den antiken Einreiseschaltern mit richtigen Menschen hinter der Glasscheibe anstellen – Fingerabdrücke, Foto, trallala… 2,5 Stunden stehen wir nun schon an… Jetzt kommt der Zoll. Wir haben zwar nur unser Handgepäck, dürfen uns aber trotzdem anstellen! Inzwischen haben wir prima Ideen, was wir mit den Golfbällen vom Hirsch hier anstellen könnten. Wut wechselt mit wahnsinnig werden, Frido und Mutsch können es nicht fassen. Nach sage und schreibe drei Stunden anstehen, gibt’s kurz Frischluft vor dem Terminal. Dann müssen wir uns ja schon wieder an der Ausreise- und Eincheckeschlange anstellen, damit wir den Anschluss nach la Paz nicht verpassen. Mutti muss das auf dem Heimflug alleine schaffen. Mir wird ganz gruselig dabei.
Die Einreise in Bolivien verläuft dann völlig entspannt. Als sich bei der Taxifahrt ins Zentrum plötzlich der Blick in den Talkessel öffnet, hat Mutti Tränen in den Augen und ich fast mit.
Aus mir schleierhaften Gründen gab es unseren Flug günstiger, wenn wir bei TUI eine Übernachtung für die erste Nacht mit buchen. Also checken wir in einem 5Sterne SPA Boutique Hotel ein. Die Gepäckjungs gondeln unsere Rucksäcke auf einem güldenen Gepäckwagen zu unseren Residenzen, während wir uns in lila-weiße Plüsch- Sofas lümmeln und erstmal Fotos machen mit silbernen Glitzerkissen im Arm. Am nächsten Tag ziehen wir aber dann doch ins gewohnte Viertel am Hexenmarkt.
Gleich am Ankommetag gibt’s das erste Highlight. Es ist „Fiesta de las Allasitas“. An allen Ecken in den Straßen raucht und qualmt es. Überall werden Opferzeremonien abgehalten. Es gibt einen extra riesigen Markt, wo man alles in Miniatur kaufen kann, was man sich irgendwie wünscht: Autos, diverse Häuser, Mixer, Schubkarren mit Zementsäcken – sieht aus wie auf einem Puppenstubenmarkt. An anderen Ständen gibt es Besitzurkunden, Zertifikate, Steuererklärungen, Heiratsurkunden, Scheidungsurkunden, Reisepässe u.v.m. in klein. Man kann auch Probe-Heiraten. Frido kauft sich sofort sein erstes Diplom. Was man hat, hat man! Das Erworbene muss man dann von einem Priester oder Hexer segnen lassen und wenn man sich gut benimmt wird das Ganze in 2-3 Jahren groß!!!! Ich halt mich nach wie vor an die Geldkoffer! Mit anderen Worten – es ist soooo herrlich wieder hier zu sein.
Nach drei Tagen La Paz fahren wir mit dem Nachtbus 11 Stunden nach Potosí. Sieben Uhr morgens leuchtet der „Cerro rico“ – der Berg der Menschen frisst – rotbraun in der aufgehenden Sonne. Wir finden nach einigem Suchen ein gemütliches Hostel und schlafen uns erstmal die Nachtfahrt aus den Gliedern. Mutti macht heute einen Kultur- und Entspannetag (janz alleene) während wir drei uns nach einer Tour in die Minen umsehen. Es ist 12 Jahre her seit dem ersten und letzten Mal. Agenturen gibt es inzwischen so einige. Erster Halt Mineromarkt – Geschenke für die Minenarbeiter „unserer“ Kooperative kaufen. „Drei Stangen Dynamit und `ne Fanta, bitte!“ Nach wie vor ist Dynamit ab 10 Jahren frei verkäuflich. Aber nicht mehr an Touristen, nachdem ein paar zu arg damit experimentiert haben außerhalb der Minen. Wir kaufen Cocablätter, Aschesteine, zuckersüße Erfrischungsgetränke und manche Ceibo, den 96%tigen Alkohol. Ein Pärchen dreht neben mir die Flasche ungläubig in den Händen und kann es kaum fassen, dass da tatsächlich auch noch „portable“ - also trinkbar drauf steht. Anschließend geht’s in die „Kleiderkammer“. 2003 bestand unsere Spezialausrüstung in einem Bauarbeiterhelm mit Geleucht und kleinen Stückchen Plastiktüte für die Ohren gegen den Lärm der Pessslufthämmer und der Detonationen der Sprengladungen. Welche wir damals ja noch selber kaufen und anbringen durften. Heute bekommen wir Gummistiefel, Wetterjacke und –hose, Minenarbeiterhelme und einen kleinen Materialrucksack samt Wasserflasche für die gekauften Geschenke und tatsächlich Weg-werf-Atemschutzmasken. Schon jetzt wirken wir neben unseren Führern etwas über-equipt. Alberto hat 16 Jahre in der Mine gearbeitet. Mit 12 hat er angefangen und sieht nicht aus wie 28 Jahre
Nächster Halt: Ingenicio San Martin. Hier landen die Gesteinsbrocken, werden in vorsintflutlichen Höllenmaschinen pulverisiert und anschließend in Becken aufgeschwemmt mit Wasser und lösenden Chemikalien. Wir sollen unsere Atemschutzmasken aufziehen gegen die giftigen Dämpfe???? Der ohrenbetäubende Lärm, die grauen Halden, von grauem Staub überzogene Arbeiter – ein Haufen Trostlosigkeit. Ein Vorgeschmack auf die Atmosphäre in den Minen! Hier oben hat sich außer der Ausrüstung für die Touristen nichts verändert. Es sind keine aufgehübschten Besucherbergwerke. Hier wird auch mit Touristen gebohrt, gehauen und gesprengt. Am Mineneingang die gleichen trostlosen zugigen Steinhütten der Witwen, die mit ihren Kindern den Mineneingang bewachen. An jedem der unzähligen Mundlöcher das gleiche beklemmende Bild. Die Schächte sind selten hoch genug um aufrecht zu gehen. Drei Kilometer werden wir nun durch den Berg laufen, ein Labyrinth aus mal mehr, mal weniger breiten Gängen und Schächten. Je tiefer wir vordringen, desto heißer wird es. Aber wir werden nach 2-3 Stunden wieder hinaus kommen.
Die ersten beiden Mineros, die wir treffen, wollen nur mal eben was essen gehen. Sie sind seit gestern im Berg und werden einen Doppelschicht fahren – also nach dem Essen für eine weitere Nachtschicht in den Berg zurückkehren. Sämtliches Gestein wird nach wie vor per Hand aus dem Berg getragen bzw. geschoben. Eine Tonne je Fuhre. Immer, wenn eine vollbeladene Lore im Anflug ist heißt es Nische suchen, Füße von den Schienen und Bauch einziehen. Es geht rau zu in den Minen. Alberto erzählt von seinen Lehrjahren bei seinem Vater. Wir blicken in verwitterte stolze Gesichter mit dicken Cocabacken und zahnlosem Lachen. Die Männer altern schnell und leben nicht lang – Staublunge. Und sie freuen sich tatsächlich über einen Schwatz mit uns – und das mitgebrachte Coca. Ab 10 Jahren darf der Sohn seinen Vater beerben – nach wie vor. Und jeder kennt sie genau, die Geschichten von den Wenigen, die tatsächlich reich geworden sind. Drei Kilometer geht’s kreuz und quer durch die Eingeweide des Berges. Da morgen „Dia conpadre“(Gevatter-Tag) ist, verlassen die meisten Bergleute die Mine. Denn morgen ist Feiertag. Da wird gesegnet, geopfert und vor allem gefeiert. …für ein paar Stunden die schwere Arbeit vergessen. Unser Guide bemüht sich redlich. Aber wo wir auch hinkommen, haben die Mineros bereits die Werkzeuge gepackt und die Abbruchstelle für die morgen anstehenden Zeremonien geschmückt. So kommt Frido leider nicht in den Genuss eines dröhnenden Bohrhammers oder gar einer Sprengung.
Für mich hat der Berg auch so nichts von seinem Schrecken verloren. Die Erinnerung an die Druckwellen nach der Sprengung in den engen Schächten macht noch heute Gänsehaut! Also hält sich die Trauer in Grenzen. Außer der Ausrüstung für die Touristen hat sich in 12 Jahren nichts, aber auch gar nichts verändert – jeden Tag ziehen auch heute noch hunderte Kinder in die Minen.
Unten in der Stadt wartet Muttern schon auf uns. Sie hat den Tag „auf eigene Faust“ erfolgreich gemeistert und genossen! Obwohl eher Englisch statt Spanisch im Spiel war. Ich war da schon etwas nervös …
Während ich diese Zeilen schreibe, sitzen wir schon in Tupiza am Pool. Die Stadt ist nur noch 3000 m hoch gelegen. Rote Felsformationen, riesige Canyons und überall Kakteen – hier sieht’s aus wie im wilden Westen. Es ist herrlich warm. Das nächste große Abenteuer heißt Salar Tour nach Uyuni. Morgen geht’s los!
Saludos an Euch alle von der Drei-Generationen-Reisegruppe!