Ist der Plan noch so gelungen verträgt er immer Änderungen

Regenzeit in Rurre – der Regen rauscht in den Baumkronen, trommelt aufs Dach, tropft von den Blättern. Seit Stunden schon – also der ideale Tag für einen ersten Reisebericht. Zugegeben, es hat etwas gedauert. Aber am Anfang war einfach der Wurm drin. Begonnen hatte es mit einer im Flugzeug nach Lima hängen gelassenen Fotoknipse. Ich wollte ein sooo süßes Bild machen von Frido und Paul wie sie zusammengekuschelt in Ihren Sitzen schlummerten…. Naja, das Bild hat jetzt ein anderer. Wir haben zwar Ersatz gefunden, aber ich habe mich schwarz geärgert. Getoppt wurde das Ganze dann noch dadurch, dass aus allen beiden unseren großen Vorhaben nix wurde. Aber der Reihe nach:
 
Die ersten Tage in la Paz waren nicht nur verdaungstechnisch aufregend. Wir sind quasi aus dem Flugzeug gefallen, eingetaucht in das bunte Marktreiben im Hexenkessel La Paz und an jeder Garküche hängen geblieben. Das ist aber auch einfach alles zu lecker. No risk - no fun!! Zum Glück hatten wir ein Zimmer mit Gemeinschaftsbad auf der Etage und zum Glück für alle anderen waren wir die einzig vorhandene Gemeinschaft.

Der Ausgangspunkt für unser erstes Ziel, den Apolobamba -Trail, liegt abgelegen weit nördlich vom Titicacasee in Pelechuco. Die Busse dahin starten nicht in La Paz, nicht mal im zwielichtigen Friedhofsviertel sondern nur in El Alto. Puh – gegen das Verkehrschaos in El Alto ist La Paz eine verkehrsberuhigte Zone! Mit der roten Seilbahnlinie fahren wir erstmal bis zur Canyonkante. Der Bau der Seilbahnen war definitiv Evos beste Idee überhaupt. 8 Mann passen in eine Gondel, die sich am Steilhängen und Häuserfassaden bzw., Hausdächern vorbei schaukelt. Man guckt direkt in die Fenster – egal ob Villenviertel oder Armensiedlung. Unsere Mitfahrer freuen sich über die spanisch sprechenden Gringos und erklären uns stolz, dass es in El Alto jetzt auch einen Busbahnhof gäbe, den „Terminal interprovincial“. Wir werden in ein Taxi gestopft und stehen 25 Minuten später vorm einzigen geschlossenen Schalter. Es gibt auch nur eine einzige Agentur für Pelechuco. Abfahrtszeit ist zwischen 6.00 und 7.00 Uhr morgens und kein Schwein weiß, wann „Donna Fahrkartenverkäuferin“ wiederkommt. Ok, Morgen nochmal. Tickets sind knapp und wir sind froh, uns Sonntag noch in den Bus quetschen zu können. 5.00 Uhr aufstehen – ich hasse es! 6.30 Uhr stehen wir bibbernd im Dunkeln am Busbahnhof. Ich bin die einzige, die ordentlich „bestuhlt“ ist und verteile großzügig „Immodium akut“ an die Männers. 11 Stunden Fahrt bei Flitzekacke und es wird nicht leicht werden den Fahrer unterwegs im Notfall anzuhalten… Aber erstmal warten wir die Stunde Pflichtverspätung ab und steigen gespannt in eine der üblichen Schrottschaukeln. Die ersten 1 ½ Stunden verbringen wir mit dem Rausgezuckel aus El Alto. Die Stadt wuchert inzwischen fast bis zum Titicacasee und hat mehr Einwohner als La Paz und keine Straßen. Dann leuchtet mehrere Stunden lang die spiegelglatte Fläche des Sees links von uns in der Sonne, umzingelt von kleinen grünen Feldern. Plötzlich versperren Tänzer die einzige Ortsdurchfahrt und wir stecken gefühlt ewig fest. Jede Tanzgruppe hat eine eigene Kapelle und im Schneckentempo schieben sie sich vorwärts. Man muss ja zwischen durch auch immer erstmal einen Schluck trinken!!! Ziel ist der Sportplatz. Hier hat man Wände aus roten Bierkästen hoch gezogen und riesige Boxen dazwischen aufeinander getürmt. Das wird eindeutig böse enden! Kurz vor der peruanischen Grenze biegen wir nach Norden ab. Dieser Teil des Seeufers und sein Hinterland sind nur spärlich besiedelt. Rasch verändert sich die Landschaft. Aus Grün wird Braun, aus Bäumen werden stachelige Grasbüschel und Flechten. Lamas, Alpaccas und Guanakos hoppeln als weiße und braune Flecken über die Ebene. Mittendrin einsam unser Fahrweg oder die Straße, wenn man es so nennen will. Die wenigen kleinen namenlosen Siedlungen sind alle noch jung und entsprechend trostlos im Altiplano-Garagen-Stil errichtet. Wir versuchen erfolglos an Hand der Karte unseren etwaigen Fahrtstand zu ergründen. Die unendliche Weite des Altiplano scheint erbarmungslos endlos. Als einzig gesichert gilt, das dauert noch. Aber immerhin - bisher mussten wir den Bus nicht gewaltsam stoppen – alle Schotten dicht! Nach 8 Stunden taucht am Horizont eine Kette von Schneegipfeln auf. Da müssen wir durch und auf der anderen Seite runter ins Tal. Fast unmerklich aber stetig steigt die Straße höher. Irgendwann fahren wir durch eine geschlossene Schneedecke. Die Unruhe im Bus wächst. Wir sind die einzigen, die den Ausblick auf die rauen Eisriesen genießen. Die meisten im Bus arbeiten in kleinen Minen, in denen ringsum in der Einsamkeit nach Gold und anderen Metallen geschürft wird. Gruselig, wie sie im Nirgendwo aussteigen um dann mit Ihren Bündeln im unwirtlichen Nichts verschwinden. Jetzt sind aber erstmal alle ganz aufgeregt und fordern uns auf unbedingt Fotos zu machen. Der Pass ist 4800m hoch und trotz der Höhe ist eine geschlossene Schneedecke auf dem Altiplano eher ungewöhnlich. Für uns fühlt sich die Aufregung nach den letzten richtig winterlichen Wochen in Deutschland merkwürdig an. Aber natürlich fotografieren wir und staunen solidarisch mit. Im Gegensatz zur stetigen Steigung fällt die Straße nach dem Pass in steilen Serpentinen ins Tal. Der Schnee und das Grau verschwinden langsam, Grün explodiert.

Neben der Straße tost der Rio Pelechuco wild über die Felsen. Pelechuco selbst liegt nur noch auf 3600m Höhe, hat fast 500 Jahre auf dem Buckel und wurde von Jesuiten als Mission gegründet. Chinin, das erste Malariamittel, war eine der Einnahmequellen. Die Mauern aus Feldsteinen sind uralt, wie die meisten der Hütten. Was für ein krasser Gegensatz zum trostlos hässlichen Altiplano-Neubau-Stil! In den Gärten blühen Blumen. Nach 14 Stunden erreichen wir unser Ziel und sind sofort begeistert. Vor allem, als wir hinter einer abweisenden Fassade auch noch eine gemütliche Unterkunft finden. Wenn morgen dann noch die Sonne scheint… und wie sie scheint!!! Das soll aber auch das letzte wirklich Positive bleiben. Der Apolobamba-Trail ist einer der anspruchsvollsten u. a. wegen der vielen „Höhen- und Tiefenmeter“. 5 Pässe versperren den 115 km langen Weg. Es ist also was für Beißer. Mehr Zeit zur Höhenanpassung ist von uns einkalkuliert worden. Aber als wir fest legten „alle oder keiner“, galt das eigentlich für unterwegs. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass wir noch nicht mal starten!!! - typisch bolivianisch - „todo es possibile, nada es seguro – extrem“ Lange Rede kurzer Sinn: Ich war sauer und mal so richtig enttäuscht!!! Wir haben doch eh noch einen „Sack“ in der Route hängen. Naja mit „…hätte, hätte Fahrradkette...“ kommt man auch nicht weiter, aber es war nicht leicht, unverrichteter Dinge wieder nach La Paz zu fahren. So richtig konnten wir zwei Alten uns auch zu keiner Alternativtour durchringen. Wenigstens konnte ich Frido und Paul zu einem einfacheren Test-/ Eingehtrekking auf dem Choro-Trail überzeugen. Torte und ich nahmen direkt die Straße nach Rurrenabaque. Da der Start des Choro-Trail auf unserem Weg, also auf 4700m in „La Cumbre“ liegt, starteten wir gemeinsam. Ein zweites Mal überraschte uns eine Passstraße mit Schnee. Zeit, Abschied zu nehmen bis Ende Februar! Torte ist noch nervöser als die beiden. Zumal die Schneedecke das Wegfinding nicht ganz leicht machen wird. Schließlich stapfen sie energisch hinaus ins gleißende Weiß … während wir eine halbe Stunde später bereits die langen Sachen von uns werfen. Papa Torte wird nervös bleiben, bis sie endlich ihr Überleben vermelden, herrlich!!! Aber die im wahrsten Sinne des Wortes brandheiße Geschichte hat der Frido selber aufgeschrieben – schick ich noch.In Rurre gibt’s dann gleich die nächste Enttäuschung. Aus der geplanten „großen letzten Tour der alten Männer“ wird auch nix. Unser Mitstreiter Pedro, der als einziger die ungefähre Route kannte, ist auf unbestimmte Zeit abgetaucht. Manchmal ist eben einfach der Wurm drin!! Diesmal dauert es noch ein bissl länger bis ich meinen Groll begraben kann. So ein Sau-Schwein-Pinnemann-Ar… würde Helge sagen und recht hätte er!!!

 

Immerhin, auf der Station sieht es richtig gut aus. Wenn wir zum ersten Mal unter den Riesenbäumen stehen und der Seringero(Kautschukzapgfer-Vogel) ruft, ist das wie heimkommen. Das Affentheater begrüßt uns stürmisch. Einziger Wehrmutstropfen: Es ist nicht viel passiert in den letzten 8 Monaten. Mal sehen warum. Aber jetzt sind wir ja zum Anpacken da. Piqui freut sich über das Fotobuch seiner „Equipo Aleman“ vom letzten Jahr und natürlich sollen wir Rolf, Otto und Frieda von ihm grüßen.
 
Bleibt das Ding mit der Dschungeltour. Melvin hat am Ende eine gute Idee. Wir kombinieren Paddeln und Urwaldtrekking um neue Ufer zu erkunden. Das klingt doch nach einem guten Plan und so langsam stellt sich auch die kribbelige Vorfreude ein.