Kilometer 52

In der Nacht hat es viel geregnet und das tut's immer noch, als Torsten und ich zum Terminal laufen. Aber heute gibt's keinen Bus, weil gestern "dia ultima de Karneval" (letzter Karnevalstag) war. Die Tickets, welche wir uns gestern gekauft hatten, gelten weiter. Also dann, "hasta manana!" (bis morgen), vielleicht! Wir haben uns inzwischen dran gewöhnt. Den ganzen Tag liegen wir im "Santa Anna" in unseren Hängematten bei Cuba Libre und basteln aus Palmfrüchten Pfeifen, Ketten und Ringe. Die Trägheit des Urwaldstädtchens hat uns angesteckt. Am Abend gehen wir in den "Club Sozial" zum Essen. Da inzwischen das Wasser des Rio Beni um zwei Meter angestiegen ist, haben die jetzt so eine Art Wassergrundstück. Weiter vorn mussten schon die ersten Kneipen und Marktstände evakuiert werden. Es ist eben Regenzeit. Hoffentlich bekommen wir morgen einen Transport ins Hochland nach La Paz.


Genau wie die vorangegangenen drei Tage treffen wir am kommenden Morgen zum Frühstück auf Sahra und Kerstin. Die Beiden hängen seit einer Woche fest. Ihrem hoffnungslosen Gesichtsausdruck können wir entnehmen, dass der Flugplatz auch heute wegen Überflutung geschlossen bleibt. Die letzte, vor einer Woche gelandete Militärmaschine, ist mit dem Vorderrad im Schlamm versackt. Zunächst hatte man versucht, das Kleinflugzeug mit zwei Ochsen aus dem Dreck zu ziehen. Für heute Nachmittag ist ein Traktor angekündigt. Ruhig bleiben und abwarten heißt die Devise, "hasta manana!". Wir zumindest haben noch neun Tage Zeit, um nach La Paz zu gelangen. Dann startet unser Rückflug nach Deutschland.

 

Wir bezahlen und gehen zurück in unsere Unterkunft. Dort angekommen, erzählt uns unsere Herbergsmutti ganz aufgeregt, dass trotz des Dauerregens ein Bus aus Riberalta (also aus dem Tiefland) angekommen ist, der weiter nach La Paz will. Wir schnappen unsere Rucksäcke und rennen sofort zur "Busbahnhofsbaracke". Tatsächlich, da steht "er"! Ein großer geländegängiger Bus mit Allradantrieb. Von seiner ehemals rot-weißen Lackierung ist kaum noch etwas zu erkennen. Aus dem Hochland sind auch heute wieder keine Busse angekommen. Wir fragen nicht weshalb, sondern kämpfen erfolgreich um Plätze für den einzig vorhandenen fahrbaren Untersatz. Glücklich und zufrieden steigen wir gegen Mittag in den total verschlammten Bus ein. Die Indio-Muttis transportieren komplette Marktstände samt Sortiment: Obst, Gemüse, Hühner, Enten und sogar einige Papageien müssen mit. Wir sind froh, endlich wieder unterwegs zu sein. Bald kommen wir in die Yungas, den Bergurwald zwischen Tiefland und Gebirge. Dann folgen die Anden mit ihren schneebedeckten Gipfeln und dem Pass "La Cumbre" 4725 m. Von dort geht's hinunter auf den Altiplano, schon eine halbe Stunde später werden wir die ersten Häuser von "El Alto" sehen, praktisch der Oberstadt von La Paz auf 4100m. Schließlich erreichen wir am Vormittag nach ca. 21 Stunden Fahrzeit, rund 300 km und mehr als 4500 Höhenmetern den Canyonrand und werden unter uns die "eigentliche Hauptstadt" Boliviens sehen. So weit die Theorie!
Hartnäckig wühlt sich der Bus durch den Morast. Torte hat Bekanntschaft mit einem der Papageien geschlossen. Der soll eigentlich zurück in die Schürzentasche seiner Ziehmutter (artgerechter Transport?). Aber so hat die Frauenrunde wenigstens einen guten Grund, mit dem blauäugigen "Gringo" rumzuschäkern. Bis ca. 19:00 Uhr geht alles gut. Dann stecken wir fest. Der Bus hat sich so tief in die aufgeweichte Lehmpiste eingegraben, dass nicht einmal die Tür aufgeht. Alle müssen zum Fenster rausklettern. Trotzdem sind alle Passagiere guter Dinge. Mit Macheten werden einige kleine Urwaldbäume gefällt. Das Blattwerk stopfen wir unter die Räder. Nach einigem Hin und Her fahren wir wieder.


Nur 500 Meter weiter, am nächsten Schlammloch, geht nichts mehr. Der rechte Teil der Strasse ist abgerutscht und einfach nicht mehr da. Links gibt es noch eine kleine Spur. In der hat sich ein LKW bis zum Auflieger eingewühlt. Die Nacht bricht herein. Alle sind sich einig: "Heute wird nicht mehr gearbeitet", morgen ist auch noch ein Tag.

In unmittelbarer Nähe befinden sich drei Hütten. Dort bekommen zumindest die Mütter sauberes Wasser, um ihren Kindern etwas zu trinken zu geben. Da ein Bus üblicherweise bei jedem Stopp von fliegenden Händlern überrannt und umringt wird, nimmt keiner viel Proviant mit. Wir halten uns an unsere Salzkekse. Die "gute Luft" im Bus trägt zum schnellen Einschlafen bei.

 

Eigentlich müssten wir bald in La Paz sein. Es ist 8:00 Uhr früh. Der LKW vor uns blockiert immer noch die Fahrspur. Bisher macht auch noch niemand Anstalten, irgendetwas zu unternehmen. Wir haben noch nicht mal die Hälfte der Strecke weg und schon zwölf Stunden Verspätung! Im Bus ist Dank der kleinen Hosenscheißer und ihrer Mütter verdammt gute Luft. Trotzdem ist es bewundernswert, wie geduldig die Kinder alle sind. Schließlich beginnt die Arbeit wieder. Man versucht die Überhohlspur zu sanieren. Dann arbeitet mal wieder keiner. Torsten und Jens sind manchmal die einzigen, die bis zum Bauch im Schlamm stehen und versuchen irgendwelche Äste unter die Räder des LKWs zu bekommen. Hier herrscht die Meinung: "Wenn ich für einen Transport von A nach B bezahle, hat sich auch der Busfahrer um das Vorwärtskommen zu kümmern!". Aus diesem Grund bleiben die meisten Mitfahrer einfach im Bus sitzen und harren der Dinge, die da kommen. Da nicht genug Füllmaterial vorhanden ist, kommt einer der Busfahrer auf die Idee, einen der Bretterschuppen am Straßenrand abzureißen. Eigenartiger Dank für die Gastfreundschaft der Familien! Prompt stürzt eine Oma aus einem der Häuser und fuchtelt den Männern laut schimpfend energisch mit der Machete vor der Nase rum. Die Machos fühlen sich sichtlich unwohl in ihrer Haut. Ich grinse vor mich hin.


Die Hüttenbretter haben geholfen, doch nach kurzer Fahrt stehen wir schon wieder: rechts steht ein Brummi bis zu den Fenstern in der tiefen Fahrrinne, links ist ein zweiter beim Überholen stecken geblieben. Ich glaub`s nicht, wie kann einem Mann nur so was passieren? Wieso fährt Mann in so eine tiefe Schlammrinne? Während der rechte LKW rückwärts rausgeschleppt wird, arbeitet sich der linke Meter um Meter vorwärts.
Jetzt regnet es auch noch. Mittlerweile steht anstelle des LKWs unser Bus im Schlammloch. Resignation macht sich breit.
Wie aus dem Nichts taucht gegen Mittag eine schrottreife Raupe auf. Jetzt beginnt das Theater ums Bezahlen. Der Raupenfahrer will von jedem Businsassen umgerechnet 0,10 Eurocent. Ganz schön dreist!
Busfahrer und Passagiere weigern sich. Aber der Typ sitzt einfach am längeren Hebel. Nach zwei Stunden palavern macht sich Torsten zum Wohltäter.
Beim Herausmanövrieren des Busses kippt dieser fast um. Aber das sehe ich zum Glück nicht. Ich sitze drin...!

 

Am späten Nachmittag rollen wir durch Sanpecho. Je höher wir in die Berge kommen, desto besser wird die Strasse. Und bald sehen wir am gegenüberliegenden Berghang sogar die Militärkontrolle. Dort fängt die Schotterpiste an. Jetzt wird alles gut! Denkste!
Im Ort, mit dem schönen Namen "Kilometer 52", 10 Minuten vor der Kontrolle, hat man ein Stahlseil quer über die Strasse gespannt. Eine Gruppe Seniores tritt uns entgegen.


STREIK! Nichts geht mehr! Der Chef der Gruppe hält eine temperamentvolle Agitationsrede. Leider verstehen wir nur Bruchstücke. Einer der Auslöser für die Proteste ist auf alle Fälle der schlechte Zustand der Strasse. Die Blockierer wollen vom Präsidenten mehr Geld für den Straßenbau erpressen. Dieser Grund leuchtet uns ein. Uns bleibt nur abzuwarten und zu hoffen, dass der Spuk bald vorbei ist. Wir essen eine Kleinigkeit und machen es uns dann im Bus bequem. Es stinkt hundserbärmlich!


Der nächste Morgen beginnt voller Hoffnung. Der Streik soll in zwei Tagen beendet sein! Unsere Gedanken kreisen immer mehr um unseren Heimflug, vor allen um dessen Bestätigung. 48 Stunden vorher sollen wir den Flugtermin bestätigen. Die Aussicht, die letzten Urlaubstage hier verbringen zu müssen, ist alles andere als berauschend. Die hygienischen Umstände werden immer schlimmer. Ein Telefon gibt es auch nicht. Das gibt es erst in 52 Kilometern. Die einzige Unterkunft des Ortes hat genau drei Betten und ist vom Busfahrer, dessen Beifahrer und dem Fahrkartenabreiser in Beschlag genommen worden. Die folgende Nacht verbringen wir auf einem kleinen Betonpodest unter dem Vordach eines verlassenen Hauses. Das Nest ist einfach nur hässlich!
Am Nachmittag dann die absolute Ernüchterung. Ein Baggerfahrer hebt hinter uns am Ortsausgang einen zwei Meter breiten und ein Meter tiefen Graben aus. Jetzt können wir weder vorwärts noch rückwärts. Der Graben soll weitere Fahrzeuge und Passagiere schon vor dem Ort stoppen. (Wie wir später sehen, halten gute Blockierer die Blockierten von Anfang an aus dem Ort raus. Das spart Ärger.) Toll! Wir sitzen in der Mausefalle.
Wir greifen weiter nach jedem Strohhalm. Die nächsten zwei Tage reden wir mit jedem, versuchen Informationen zu bekommen. Zwei Tage lang glauben wir immer wieder, dass es weitergeht. Aber irgendwann merkt man, die labern einfach nur und wissen selbst nicht mehr als wir.
Zu spät bekommen wir mit, dass das Streikkomitee nachts einen Jeep fahren lässt. Neben Streikposten dürfen auch zahlungskräftige Streikbrecher einsteigen. Lange diskutieren wir, wie es weitergehen soll. Eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: - entweder wir warten hier an Ort und Stelle ab, bis alles vorbei ist oder wir laufen die 52 Kilometer bis nach Caranavi. Dort gäbe es auf jeden Fall ein Telefon und, laut unseren Erinnerungen, Unmengen Autos. Aber vorerst lassen wir uns immer wieder beschwichtigen.


Gut, dass wir uns selbst versorgen können. Unser alter Juwel-Kocher brummt zufrieden vor sich hin. Spät in der Nacht machen wir es uns auf unserer Betonfläche bequem. Unser erster Weg heute früh führt uns in die Baracke des Funkers. Wir wollen versuchen, Bekannte in La Paz zu erreichen. Der Kontakt kommt nicht zustande. Mierda! (Scheiße) Jetzt ist Schluss mit der Abwarterei! Gerade als wir loslaufen wollen, kommt es zu einem Tumult vor der Hütte des Streikkomitees. Sämtliche Passagiere aus dem Bus und die meisten Fahrer der zehn fest sitzenden LKWs bedrängen die Kommission. Die lassen sich nicht erweichen und drohen Streikbrechern mit Gewalt! Vorsichtshalber ziehen wir uns an den Rand des Pulks zurück. Plötzlich wispert uns jemand zu: " Um 10:00 Uhr, 500 Meter nach der Militärkontrolle gibt es einen Transport". Wir schreiben unsere Namen in eine Liste, packen unseren Kram zusammen und laufen zum Treffpunkt - ...und warten! Torsten vertreibt sich die Zeit mit Riesenkäfern, die er um die Wette rennen lässt. Außer uns warten noch 3 Frauen mit Bündeln und zwei Männer.


Als bis 12:00 Uhr nicht passiert glauben wir an nichts mehr und marschieren los. Viel zu lange haben wir gewartet. Jetzt haben wir noch so ziemlich genau 24 Stunden Zeit um ein Telefon zu finden. Sonst verfallen unsere Flüge. 52 Kilometer Straße latschen bis Caranavi liegen vor uns. 52 Kilometer bei tropischer Sonne oder tropischem Regen, zwei Pässe rauf und wieder runter mit allem Gepäck, in 24 Stunden. Wir kämpfen uns vorwärts. Die Wut im Bauch wird größer, als wir merken, die Strasse wäre zumindest für Jeeps passierbar. Nur ein Schlammloch erscheint uns kritisch. Das Streikkomitee hatte also einfach gelogen. Allerdings sehen wir auch einige abgestürzte LKWs und Busse tief unten im Tal liegen. Kein schöner Anblick. Grauenhaft! Endlich erreichen wir den ersten Pass. Wir sind total erledigt. Ich schwitze wie ein Pferd. Kein Wunder bei der enormen Luftfeuchtigkeit und den Temperaturen. Die Wut über die Lügen der Kommission macht es im Kopf auch nicht leichter. An einem Wasserfall legen wir eine ausgiebige Badepause ein. Die letzten Tage war das Zähneputzen auf dem Kneipenplumpsklo die einzige Körperhygiene. Jens treffen wir am Nachmittag an einem Bretterverschlag am Straßenrand wieder. Er läuft ein höheres Tempo und ist vorausgegangen. Neben ihm auf dem Tisch stehen zwei Bier für Torsten und für mich. Er hat heute Geburtstag. Na dann Prost! Während der zweiten Bierrunde tauchen die drei Frauen auf, welche heute Morgen mit auf den Jeep gewartet hatten. Das Auto war doch noch gekommen. Ich würde jetzt gern jemanden erwürgen! Eine Stunde Fußmarsch von hier, im nächsten Ort soll es vielleicht Transporte geben oder auch nicht. Warum fragen wir eigentlich noch? Übermorgen fliegt eine Varigmaschine nach Deutschland. Hoffentlich mit uns! Im Mondschein, nicht nach einer sondern nach drei Stunden stramm marschieren, erreichen wir die Blockade vor Carasca. Unmengen von Bussen und LKWs stehen hier auf dem schlammigen Fahrweg. Es sind so viele! Die Blockaden kann man inzwischen von weitem riechen. Es stinkt erbärmlich nach Kot und Urin. Einige warten schon fünf Tage hier. Alle labern uns an: "Holla Gringos!" Es dauert eine Weile bis sie begreifen, dass wir keine Gringos sind, sondern aus "Alemania" kommen. Dort wo auch der Rummenigge, der Beckenbauer, der Schuhmacher und der Kohl herkommen. Als Gringos werden in Südamerika die Nordamerikaner bezeichnet. Das Wort Gringo wird von "Green go" abgeleitet. Ursprünglich sind damit die amerikanischen Soldaten mit ihren grünen Uniformen gemeint (Grüner, geh nach Hause!). Wir haben heute keine Lust mehr auf Gespräche. Mitfahrgelegenheiten gibt es auch keine. Sehr unruhig schlafen wir vor einer Kneipe auf dem Bürgersteig. Nach fünf Stunden ist die Nacht zu Ende. Wir sind nicht die einzigen, die die Nacht auf dem Bürgersteig verbracht haben. Allerdings sind wir weit und breit die einzigen Ausländer und ziehen so ständig die Aufmerksamkeit auf uns. 4:00 Uhr ist allgemeiner Aufbruch. Heute müssen wir unbedingt telefonieren! Bestätigen wir nicht rechtzeitig oder schaffen dann den Abflugtermin nicht, verfallen unsere Plätze. Wir müssten ein teures One-Way-Ticket kaufen. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Langsam sollten wir einplanen, bis nach La Paz zu laufen. Eine grauenhafte Vorstellung! Kopf und Körper wollen überhaupt nicht. Immer wenn es wieder unglaublich nach Fäkalien stinkt, kommt eine Blockade. Vor und hinter der kleinsten Ansiedlung immer das gleiche Spiel. Die Streikenden empfangen uns mit Holla - Gejohle, als ob alles ein Riesen-Gaudi wäre. Wir spielen "nichts verstehen" und rennen weiter. Fünf lange Stunden quälen wir uns noch auf der Schotterpiste. Dann endlich kommt Caranavi in Sicht. Dort liegen all unsere Hoffnungen. 11:43 Uhr erreichen wir die ersten Häuser. Am Stadtrand ist gleich ein "Büro" der Blockierer. Voller Elan stürme ich hinein und erkläre ihnen unsere Situation. Sie machen erst mal große Augen, vielleicht liegt`s ja auch an meinem Spanisch! Ich verstehe was von einem Passagierschein und das es keine Fahrzeuge gibt. Man schickt uns ins Haus der Oberchefstreiker an das andere Ende der Stadt. Wir stapfen wieder los und glauben an das Gute im Menschen, 1,5 Kilometer lang. In Caranavi kreuzen sich zwei Strassen. Der Ort besteht aus Kreuzung, Kneipen, Autowerkstätten und eben einer Unmenge aller möglichen Fahrzeugtypen. Normalerweise! Heute gibt's hier keine Autos dafür kreisen Demonstrationszüge mit Transparenten. Statt am Ende der Blockaden sind wir in einem der Streikzentren gelandet! Mein Mut sinkt immer mehr. Dann stehen wir vor der Streikzentrale. In jedem Vorzimmer bete ich unsere Geschichte her, zeige Tickets und Pässe. Doch schon als ich den Oberchef sehe, weiß ich, dass es sinnlos ist. Ausländer, weiblich und dann noch wütend, so erreicht man in solch einer Situation gar nichts. Das Diskutieren wird zur Nervensache. Den versprochenen Passierschein bekommen wir nicht! Aus vorbei, wir sitzen endgültig fest!


Wir müssen uns eine preiswerte Unterkunft suchen. Als wir vor zwei Wochen hier Zwischenstopp machten, stand in einem der Eingänge ein Typ, der uns auf Englisch anquatschte. Genau diesen Eingang suchen wir jetzt, denn wir brauchen jemanden, der uns hilft, am besten einen Bolivianer der englisch kann. Wir wissen keinen Namen, erkennen aber den Eingang und fragen dort einfach nach einem Mensch, der dort vor zwei Wochen Englisch gesprochen haben könnte. Klingt ziemlich bekloppt, oder! Aber funktioniert!

 

Als wir mit dem Besitzer des Hauses noch über den Zimmerpreis verhandeln, verschlägt es uns plötzlich die Sprache! Sie haben den Typ tatsächlich gefunden! Vor uns steht Waldo. Er ist genauso vom Streik überrascht worden wie wir und arbeitet sonst als Dschungelführer in Rurrenabaque. So kann er unsere Schwierigkeiten eher verstehen als andere. Er will uns helfen. Nur Englisch spricht er leider nicht wirklich, also bleibt die Konversation weiter zum größten Teil an mir hängen. Mit ihm zusammen gehen wir ins Telefonbüro. Bestätigen brauchen wir unseren Flug jetzt nicht mehr. Wir müssen versuchen, ihn zu verlegen. Die Dame im Telefonbüro verspricht Waldo Sonderkonditionen. Wegen der Kosten versuchen wir es zuerst in La Paz. Die Mitarbeiter des Flugbüros in La Paz wissen von nichts. Unvorstellbar! Immerhin berichtet sogar das Fernsehen von den Blockaden im Tiefland. Aber das interessiert die Damen nicht, sie haben keine Probleme und denken sogar, dass wir einfach nur unseren Urlaub verlängern wollen! Später rufen wir direkt in Frankfurt an. Wir bitten um die Öffnung des Tickets und um die Verschiebung unseres Rückfluges um eine Woche. Wenigsten sind wir jetzt diese Sorge los. Torsten gibt noch zu Hause bescheid. Dort ist man in heller Aufregung. Ein Zeitungsartikel hatte über den Absturz eines Jeeps auf unserer Strecke berichtet, " ?unter den Toten waren auch deutsche Touristen?". Wir wussten von nichts. Ausgelaugt und müde, wollen wir nur noch schlafen. Waldo macht sich derweil für uns in die Spur und knüpft Kontakte.


Am nächsten Morgen versuchen wir das deutsche Konsulat in La Paz zu informieren. Ohne Erfolg, keiner geht ans Telefon. Beim Frühstück haben wir im Fernsehen gesehen, dass das Militär von La Paz aus losmarschiert gegen die Blockaden. Weiter geht's mit verschiedenen Zwischenstationen mal wieder zur Streikkommission. Inzwischen haben wir Waldo gebeten, sich mit uns nach La Paz durchzuschlagen. Er hat als Bolivianer einfach das glücklichere Händchen beim Umgang mit den Behörden. Jedenfalls erreicht Waldo bei der Kommission einen Deal. Wir sollen 50 Liter Diesel kaufen, dafür können wir mit einem LKW bis in einen Ort Namens Choro fahren, um von dort irgendwie weiter nach La Paz zu gelangen. Um die Mittagszeit sollen wir uns im Hinterhof mit dem Lkw-Fahrer der Kommission treffen. Es geht ziemlich abenteuerlich zu. Heimlich klettern wir auf die Ladefläche und fahren zur Stadtgrenze zum Tanken. Danach rollt der LKW auf die sich hinter der Stadt befindliche Blockade zu.

 

Wir sollen uns verstecken. Es wird brenzlig. Männer erklimmen die Ladefläche. Als man uns entdeckt, gibt es ein großes Gemurre. Über ein Megafon erklärt einer unserer Begleiter der aufgebrachten Menge, dass ohne uns überhaupt kein LKW fährt. Inzwischen werden von einer Liste Namen verlesen. Es wird voll, ca. 60 Leute drängen sich auf die Ladefläche. Endlich fahren wir los. In jedem weiterem Dorf das gleiche Bild. Erst riecht man die Blockade. Dutzende Fahrzeuge warten hier seit Tagen auf die Weiterfahrt. Die Blockade selbst, meist in der Dorfmitte, besteht oft aus nur einem Stahlseil, welches zwischen zwei Hütten über die Strasse gespannt ist. Unser Fahrer darf passieren. Wir haben Kranke und Alte an Bord. Außer uns natürlich, ist jeder im Besitz eines Passierscheins mit mindesten fünf verschiedenen Stempeln. Um nicht erkannt zu werden, ducken wir uns an jeder weiteren Blockade in die Menge. Das funktioniert so bis nach Choro. Kurz vor dem Ort ist die Strasse gesprengt worden. Wir müssen zu Fuß weiter. Als wir in den Ort laufen, sehen wir auf der anderen Bergseite die Scheinwerfer eines Fahrzeuges. Hoffnung keimt auf. War das hier die letzte Blockade? Wir laufen in der Dämmerung zum Ortsausgang. Auch hier das gleiche elendige, gewohnte Bild: Unmengen von Fahrzeugen warten auf ein weiterkommen. Kinder schreien, verzweifelte Mütter weinen, das Essen für die Menschen wird knapp. Wir haben zu viert selber nur noch 20 Dollar. Selbst wenn wir mehr hätten, es gibt eh keine Nahrungsmittel mehr zu kaufen. Die Stimmung wird immer aggressiver. Waldo versucht unterdessen, einen der Fahrer zu überzeugen, zurückzufahren. Die meisten Fahrer sind verängstigt. Wer als Streikbrecher erwischt wird, dem wird der LKW angebrannt, geben sie uns zu verstehen. Andere nutzen ihre Chance und haben zwischen den Blockaden einen lukrativen Pendelverkehr eingerichtet. So kommen wir weiter bis Chalta. Es ist bereits stockdunkel. Fünf Stunden von hier liegen Yolosa und Coroico. In Coroico soll es jemanden geben, der sich um die hängen gebliebenen Ausländer kümmert, erzählte man in Caranavi. Waldo will mit Coroico telefonieren. Im ganzen Ort gibt es nur ein Kartentelefon. Aber Karten gibt es keine, und niemand will uns seine Karte leihen.


Mit Waldo laufe ich zum Ortsausgang zu den wartenden LKW. Einer lässt sich erweichen und sichert uns zu, morgen früh im Schutz der Dunkelheit einen Versuch nach Yolosa zu wagen. Allerdings müssen wir 40 Mitfahrer organisieren, damit sich für ihn die Sache finanziell lohnt. Im Dunkeln schleichen wir durch den Ort, informieren die Leute. Morgen früh 5:30 Uhr soll es losgehen. Die Nacht verbringen wir vor einer Kneipe. Eine Meute Hunde bewacht unseren Schlaf. Eigentlich sind wir ja heute weiter gekommen, als wir am Morgen zu hoffen gewagt hätten. Zu Fuß hätten wir zwei Tage gebraucht.

Das Aufstehen um 5:00 Uhr in der früh fällt uns schwer. Mit uns marschieren die anderen zum Dorfrand. Der LKW Fahrer ist erst einmal nicht zu sehen. Als wir ihn ausfindig machen, gibt er uns zu verstehen, dass er nicht mehr will. Es sind nur 30 Leute zusammen gekommen. Später erklärt er noch, dass er keinen Diesel mehr hat. Warten, warten, warten und nicht den Verstand verlieren! Waldo diskutiert eine Ewigkeit mit den Fahrern. Sie wollen einfach nicht glauben, dass hier auf lange Sicht die Strasse in das Tiefland dicht ist. Schließlich dreht ein Fahrer sein Gefährt um und will zurück nach Coroico fahren. Allerdings hat der schon jede Menge Gemüse und die dazugehörenden Marktweiber geladen. Die wollen nicht, dass mehr Leute zusteigen. Denen sind ihre Kartoffelsäcke wichtiger. Es dauert eine Weile, bis sie begreifen das unsere Rucksäcke für uns genauso wichtig sind, wie für sie das Gemüse. Endlich fahren wir los! Bis Yolosa gibt es keine weitere Blockade mehr. Torsten, der vorn auf dem Führerhaus sitzt, entdeckt den bösen Erdrutsch zuerst. "Sofort abspringen!", schreit er mich an. Er ist total aus dem Häuschen! Unsere Strasse ist vom Schlamm bedeckt. Links der Erdrutsch, rechts die bodenlose Tiefe. Mitten in den Spurrinnen liegt ein großer Stein. Ich handle mir ne Menge Ärger mit Torsten ein, weil ich beim Steine wegräumen helfe. Wir laufen durch den Schlamm auf die andere Seite. Unser Fahrer bekreuzigt sich und gibt Gas. Ich nenne so etwas Selbstmordversuch. Kurz vor Yolosa hält unser LKW. Wir müssen den letzten Kilometer zu Fuß zurücklegen. Der sonst so geschäftige Verkehrsknotenpunkt ist wie ausgestorben. Wir organisieren uns erstmal einen Kaffee. Man sagt, es gibt nur noch wenig zu Essen in der Gegend. Die Prognosen für die Strasse nach La Paz könnten wieder mal nicht gegensätzlicher sein. Denn Satz: "Todo es posible, nada es seguro", (Alles ist möglich, aber nichts ist sicher) hören wir uns immer wieder an. Man sagt uns, dass auch von hier nach La Paz nichts möglich ist. Erst hinter der Blockade ginge es weiter. Aber keiner kann uns sagen, wie weit von hier diese Blockade liegt. Die Kilometerangaben schwanken ungeheuer. Wer weiß, ob es danach wirklich weiter geht! Also versucht Waldo erstmal diese Kommission in Coroico anzurufen.

 

Es gibt nämlich noch zwei Autos hier für den Pendelverkehr zwischen Yolosa und Coroico und wenn uns die Kommission einen Passagierschein ausstellt ... Wir haben noch sechs Stunden Zeit. Aber mit dem einzigen Telefon des Ortes kann man nur nach La Paz telefonieren! Das ist absurd! Coroico liegt neun Kilometer entfernt und ist wegen eines bekloppten Kartensystems nicht erreichbar von hier! Also bleibt als letzter Strohhalm ein Anruf beim deutschen Konsulat. Noch könnten wir es schaffen! Aber der Herr Konsul sagt doch tatsächlich, er verstünde das gar nicht. Es stand doch in der Zeitung, dass die Blockaden Dienstagabend aufgehoben wurden. Er sähe keine Notwendigkeit und weiß gar nicht wie. Aus jetzt ist alle Hoffnung weg! Wir sind wütend! Aber plötzlich kommt Leben in die Passagiere. Unser alter LKW taucht auf. Doch der Fahrer weigert sich strikt weiter zu fahren. Die Empörung der Leute ist groß, hilft aber nichts. Dann kommt plötzlich ein weiterer Kipper vollgequetscht mit Menschen die Straße aus Coroico herunter. Er soll bis zur Blockade fahren! Aber die Insassen weigern sich, uns mit unseren Rucksäcken mit zunehmen. Fast auf Knien rutschend ringen wir dem Fahrer das Versprechen ab, zurückzukommen und noch ein zweites Mal zu fahren. Wir sind total aus dem Häuschen. Die Gerüchte, dass nach der Blockade die Strasse nach La Paz frei ist, verdichten sich. Aber wir kommen auf keines der nächsten zwei Autos hinauf. Mehr Fahrzeuge gibt es nicht, wie sollten die auch hierher kommen? Dafür lädt uns eine ganz liebe Seniora zum Essen in ihre Hütte am Straßenrand ein. Wir können es kaum fassen, nach all dem Frust. Nach dem Essen kleben unsere Augen wieder an der Straße. Der erste Fahrer hatte doch versprochen, wieder zurückzukommen! Schließlich biegt der Kipper tatsächlich um die Kurve. Es hat geklappt! Er erzählt uns auch, dass es oben weiter geht. Aber der Fahrer will nicht noch mal fahren. Wir raufen uns die Haare, bekommen Wutausbrüche, betteln. Letzten Endes sollen wir 10 Liter Diesel kaufen (mal wieder!) damit er vielleicht doch fährt. Die restlichen ebenfalls wartenden Passagiere zahlen je einen Boliviano, nicht an uns sondern an den Fahrer. Oh du schöner dummer Touristen-Goldesel! Der Kipper ist sonst das Müllauto. So riecht und sieht seine Ladefläche auch aus. Sch? egal! Wir werfen unsere Rucksäcke zwischen die Abfälle und sind gespannt, wo diese letzte Blockade nun wirklich liegt. Wer weiß, wie sehr man uns diesmal übers Ohr gehauen hat. Während der Warterei haben wir erfahren, dass man alle Touristen aus Coroico kostenlos von Sperre zu Sperre ausgefahren hat. Nur die Ausländer.

 

Kein Wunder, dass die Stimmung immer aggressiver wurde! Ohne unser Flugproblem (und das viele Geld, was dran hängt) könnten wir als Reisend die Blockadenzeit wesentlich leichter kompensieren als etwa eine Mutter mit Kindern. Schon mit eigenem Kocher und Zelt sind wir wesentlich unabhängiger und wenn unser "vieles" Geld alle ist, hätten wir genug Dinge für Tauschgeschäfte. Kostenlos raus gefahren, ich versteh es nicht! Egal, wir kommen ein ganzes Stück weiter. Unser Flug hat übrigens gerade abgehoben. Wir stoppen an einem Erdrutsch. Man hat mit einem Sprengsatz nachgeholfen. Wir kraxeln über die Erdhügel und trauen unseren Augen nicht: hinter der Kurve reiht sich LKW an LKW! Tagelang warten sie schon hier. Ein unerträglicher Gestank bestätigt ihre Aussage. Unter einem der hintersten LKW dösen schon die anderen ehemaligen Mitfahrer aus Caranavi im Schatten. Irgendein Laster soll bald drehen und nach la Paz fahren. Irrerweise kommen jetzt auch noch Fahrzeuge die Straße runter mit neuen Passagieren für Caranavi und weiter. Wir kapieren es einfach nicht! Aber das heißt ja auch, dass das hier tatsächlich die letzte Barrikade ist! Mir entwischt ein irres Lachen. Eine geschlagene Stunde dauert es, bis sich tatsächlich einer der Fahrer überzeugen lässt, umzudrehen. Jetzt fahren wir also auf einem LKW die angeblich gefährlichste Strasse der Welt. Und wenn's die gefährlichste des Universums wäre! Auf geht's! Kurze Zeit später nässen uns riesige Wasserfälle vollkommen ein. Sie stürzen ungebremst auf die "Fahrbahn", deren Qualität eigentlich ganz gut ist. Aber die Ausblicke und die Spurbreite sind doch beängstigend. Bis zu 400 m unter uns leuchten Wracks aller Art zwischen den Bäumen. Man darf sich auf der linken Seite nicht mit den Händen an die Reling klammern, denn dort schleift der LKW oft am Fels, während der rechte Zwillingsreifen über dem Abgrund hängt. Zum Teil ist die Straße wie ein Klettersteig in den Fels gehauen. Dann kommt auch noch immer wieder Gegenverkehr! Torte flippt total aus und fährt nur noch draußen auf dem Trittbrett über der Hängerkupplung stehend mit. Auch gut, kann er im Ernstfall wenigstens die anderen anrufen. Mir ist alles egal. Ewig geht's hinauf. Plötzlich wird es saukalt. Auf La Cumbre, glauben wir fast Schock zu gefrieren. Eine halbe Stunde weiter tauchen die ersten Häuser von La Paz auf! Geschafft! Wir fahren weiter ins Torino, nur schwer begreifend, dass hier alles seinen normalen Gang geht. Irgendwie hat man schon auf uns gewartet aber was ist schon Zeit in Bolivien.

 

So richtig verstehen die Leute an der Rezeption nicht, was wir da berichten. Wir nehmen die deponierten Sachen und schleichen aufs Zimmer. Ich bin alle, zu müde zum Duschen, Geld tauschen und Essen. Das kann alles warten, ich habe ein Bett.

Neun Tage haben wir letzten Endes für die 300km von Rurrenabaque nach la Paz gebraucht. Der Flug war weg, sämtliche Versicherungen abgelaufen, ein gültiges Visa hatten wir auch nicht mehr und kaum noch Geld. Also dann, auf in den Kampf!

Konsul und Konsorten

Das wichtigste war ein neuer Flugtermin. Die Dame im Flugbüro ist eher zickig, aber in einer Woche könnten wir fliegen. Für die Tage vorher setzt sie uns auf die Warteliste. Ups, eigentlich müssten wir schon heute wieder arbeiten! Vielleicht kann ja diesmal der Konsul seine Beziehungen spielen lassen. Nach 1 ½ Stunden in einem leeren Wartezimmer sitzen wir vorm Konsul. Er lauscht unserem Bericht ungläubig und schützt Überarbeitung vor. Er hat soviel zu tun und dann gibt's andauernd irgendwelche zusätzlichen Probleme. Quasi als Beweis knallt er uns einen deutschen Personalausweis hin, fragt ob wir die Frau kennen. Er stammt von einem der Mädels, die vor zwei Wochen mit dem Jeep zwischen Coroico und La Paz abgestürzt waren. Die Leichen waren gefleddert, als man sie fand! Und so was ist dann "irgendein zusätzliches Problem"! Ganz tief in mir hoffe ich, nie wirklich Hilfe zu brauchen! Wegen der Flüge hängt er sich an die Strippe, erreicht aber nichts. Zur Karnevalszeit ist alles überbucht. Außerdem schreibt er uns noch eine Bestätigung für Arbeitgeber, Versicherung usw... Na gut, nächstes Problem: Visa! Es ist Freitagmittag und der Polizist möchte gern unsere Pässe erstmal behalten. Aber ohne Pass kann man kein Ticket kaufen und auch kein Geld tauschen. Es geht nur um einen simplen Stempel! Ich werde immer lauter. Es hilft nichts: Jetzt dauert`s drei Stunden und später gleich bis Montag - spricht`s und legt unsere Pässe in eine der vielen Schubladen seines Schreibtisches. Eine Stunde später geh ich ohne männliche Begleitung noch mal hin, ziehe eine Schleimspur hinter mir her und bin ganz ruhig. Plötzlich geht's sofort und ohne Strafe, obwohl wir uns ohne gültige Visa in Bolivien aufgehalten haben. Jetzt dürfen wir noch 60 Tage bleiben! Vor der Tür stoße ich einen wüsten Macho-Verwünschungs-Fluch aus. Jetzt warten wir nur noch auf einen Flug. Aber da geht noch was: Am Sonntag wird Jens auf offener Strasse bewusstlos gewürgt und ausgeraubt, in der Museumsgasse. In dieser Strasse wimmelt es immer von Polizei - außer Sonntagnachmittag, da haben die Museen alle zu. Pass, Geld, Uhr alles weg, nur das alte Flugticket hatte ich. Jens hat einen tüchtigen Schreck und sonst zum Glück nur blaue Flecke weggekriegt. Auf der Touristenpolizei ist sogar noch einer da. Mangels spanischen Wortschatzes spielen wir die Tat mehrmals nach. Nach 1 ½ Stunden ist das Protokoll schon fertig. Doch auf der Wache gibt's keinen Kopierer. Wir können doch nicht unsere letzte Passkopie hier lassen! Die Putzfrau einer benachbarten Radiostation hilft aus und zieht für ein Lächeln vor lauter Freude gleich acht Kopien. Danke! Aber noch sind wir nicht am Ende: der Vorgesetzte, welcher das Protokoll unterschreiben muss, ist erst am Dienstag wieder da, vielleicht! Das glaub ich einfach nicht! Ohne das Protokoll gibt es auf dem Konsulat keinen neuen Pass oder Behelfsausweis, ohne den wiederum können wir weder ein neues Flugticket erstehen noch ausreisen. Wir nerven so lange, bis er verspricht, sich zu bemühen. 19:30 Uhr sollen wir noch mal anrufen? Montagmittag halten wir das Papier in den Händen, warten wieder zwei Stunden im Wartezimmer des Konsulats, sind nett und bekommen für 15 DM in bar einen grünen Hilfsausweis. Gut, dass nur Jens Geld geraubt wurde! Wäre also wieder nur noch der Flug: Und es sieht gut aus: 9:00 Uhr sollen wir morgen früh im Büro sein! Tatsächlich, wir haben Flüge für heute 14:00 Uhr und die Airline erkennt sogar unsere verfallenen Tickes an! Wir brauchen keinen teuren Einfachflug zu kaufen! Doch dann sagt die Dame etwas Seltsames: " Ich glaube nicht, dass sie ihr Flugzeug erreichen. La Paz wird heute bestreikt. Es gibt keine Transporte zum Flughafen."! Das glaub ich nicht! Seit Tagen sitzen wir hier rum und ausgerechnet heute wird La Paz ringsum blockiert? Ich renne zurück ins Hotel. Es stimmt, auf den Strassen fahren keine Taxis oder Busse, man sieht keine öffentlichen Transporte. Der Flugplatz liegt oben auf 4100m auf dem Altiplano. Aus der Stadt führen vielleicht fünf Strassen hinauf, leicht zu blockieren. Das Konsulat! Aber der Konsul erwidert mir, er hätte seinen Fahrern verboten heute zu fahren, zu gefährlich. Ich soll mir lieber einen Taxifahrer suchen, den bestechen und dann beschreibt er mir einen Schleichweg über? Das ist einfach lächerlich! Wie soll ich mit meinem Spanisch einem Taxifahrer aus La Paz einen Schleichweg durch La Paz erklären, durch Gegenden, die ich noch nie gesehen habe? Gefährlich soll's ja auch noch sein! Aber wir müssen heute fliegen, sonst verfallen die Tickets wieder. Aus den Wartelisten für die nächsten Tage sind wir schon gestrichen. Nur mit Hilfe des Pförtners finden wir überhaupt ein Taxi mit beherztem Fahrer. Für ne Menge Geld will er uns so weit bringen wie möglich. Immer wieder müssen wir wegen Blockaden umdrehen. Endlich dürfen wir an einer Barrikade vorbei, weil sich unser Fahrer mit dem Gürtel den Hintern versohlen lässt. Wirklich, auf offener Strasse! Um die nächste führt uns ein kleiner Junge für ein paar Bolivianos. Nachdem wir das Geld bezahlt haben, räumt sein Vater bereitwillig die Bank weg, die den Schleichweg versperrt. Clever! Über Müllkippen und Slums nähren wir uns der Kante des Canyons. Genau auf der Kante geht's wirklich nicht mehr weiter. Brennende Autoreifen und Gitter versperren den Weg. Wir steigen aus, ohne zu wissen, wo wir sind und wo wir hin müssen. Die Strassen sind wie ausgestorben. Vor einem Haus steht ein Auto mit Taxikleber. Ich klopfe einfach an die Tür. Ein Mann öffnet. Nein, auch hier oben geht nichts mehr und der Flughafen sei abgeriegelt. Wir haben noch zwei Stunden. Ich bearbeite ihn solange, bis auch er einwilligt uns so weit, wie möglich, an den Flughafen heran zu bringen. Wir kurven hin und her, müssen andauernd wenden und stehen schließlich 1000m vorm Flughafengebäude. Das Militär hat einen Ring um das Flughafengelände gelegt. Davor bewachen Zivilisten eine Barrikade. Es kostet Überwindung auf die Bewaffneten zuzugehen. Erst im Flughafengebäude atmen wir wirklich auf. Eine Stunde vor Abflug checken wir ein. Aber wir kommen wieder, das wissen wir schon jetzt!